Grafenried ein Ort des Glaubens und der Hoffnung

Zahlreiche Gläubige versammelten sich zum Gedenkgottesdienst in den Mauern der rekonstruierten Kirche in Grafenried. Unter ihnen waren viele Vertriebene.
Zahlreiche Gläubige versammelten sich zum Gedenkgottesdienst in den Mauern der rekonstruierten Kirche in Grafenried. Unter ihnen waren viele Vertriebene.

Heuer ist es 70 Jahre her, dass unzählige Menschen ihr Zuhause verlassen mussten. Nur das Nötigste durften sie mitnehmen, denn es blieb kaum Zeit. So hat Stadtpfarrer Wolfgang Häupl bei der traditionellen Messe in Grafenried die Situation nachgezeichnet, in der die Menschen nach Kriegsende von jetzt auf gleich aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Es sei gut, dass nach der Grenzöffnung, die damaligen Bewohner von Grafenried, Anger, Seeg und Haselberg wieder zu ihren Wurzeln zurückkommen könnten und in den Grundfesten der St. Georgskirche Gottesdienst feiern dürften.

“Es ist mir ein Bedürfnis zuerst meine Landsleute zu begrüßen, denn ihnen gehört der heutige Tag”, meinte Hans Laubmeier, der Organisator und Ortsbetreuer des Grafenrieder Treffens. Ihm war es schon immer ein Bedürfnis, die zerstörte Heimat wieder aufleben zu lassen, sei es nur vor den Ruinen, um den Nachkommen ihre Wurzeln zu zeigen. Eine besondere Ehre war es dem Ortsbetreuer den Gottesdienstbesuchern seinen Gast aus Prag vorzustellen, der einst als Besatzer und Grenzsoldat in Grafenried stationiert war. 21 Jahre sei er damals alt gewesen. Die Zeit als Besatzer habe ihn geprägt, deswegen nehme er auch regelmäßig an den Gedenkgottesdiensten zum Patroziniumsfest in Grafenried teil.

Thomas Schrödl wird einmal die Arbeit von Ortsbetreuer Hans Laubmeier (rechts) übernehmen.
Thomas Schrödl wird einmal die Arbeit von Ortsbetreuer Hans Laubmeier (rechts) übernehmen.

Dies sei, so Laubmeier, ein schöner Beweis, dass die ehemalige Pfarrgemeinde Menschen beider Nationen zusammenbringe. Der Ortsbetreuer hatte einen weiteren Grund zur Freude: Mit Thomas Schrödl aus Wiesloch bei Heidelberg, dessen Großeltern aus Grafenried stammen und der sich schon immer für seine Ahnen interessiert hat, habe er einen würdigen Nachfolger gefunden, den er bei der Veranstaltung vorstellte.

 

In den Mauern der Kirche, in der viele seiner Landsleute getauft worden seien, könne man sich die Hände reichen und gemeinsam auf eine unbeschwerte Jugend zurückblicken. Wie dem 75-jährigen geht es vielen anderen, die mit ihm und seiner Familie ein gemeinsames Schicksal teilen. Sie alle mussten 1946 ihre Heimat im Sudetenland verlassen. Doch die Erinnerung an die Stätte seiner Kindheit wird in Laubmeier immer wach bleiben, machte er stellvertretend für viele deutlich.

In strahlendem Sonnenlicht präsentierte sich das Gnadenbild der “schönen Marie” von Grafenried, als Stadtpfarrer Wolfgang Häupl in Konzelebration mit Ruhestandsgeistlichem Pfarrer Raimund Arnold Gottesdienst feierte. “Dieser Ort war für Sie Heimat, hier sind Sie geboren, hier sind Sie getauft, hier sind Sie aufgewachsen”, sagte Häupl. Als geschichtsträchtig bezeichnete er die Stätte, an der die Pfarrkirche gestanden habe, weil dort nicht nur Glauben gepredigt, sondern Glauben gelebt worden sei.

 

Beim Betrachten der Ausgrabungen sehe man sich in die Vergangenheit versetzt und es würden Erinnerungen wach. Mit Sicherheit werde es den ein oder anderen schmerzen, von dem einstigen Zuhause nicht mehr viel zu sehen. Deshalb sei es gut, dass nach der Grenzöffnung durch unermüdlichen Fleiß, immer mehr zum Vorschein komme und zeige, was Grafenried einst für ein herrliches Dorf gewesen sei. Zwischen Deutschen und Tschechen spüre er 26 Jahre nach Fall des Eisernen Vorhangs eine tiefe und herzliche Freundschaft. “Wir brauchen solche Orte der Erinnerung”, sagte Häupl. 

 

Jan Bozdech, Bürgermeister von Klentsch, sah Grafenried als Symbol für die deutsch-tschechische Freundschaft. Er mahnte, die Erinnerungen an die schrecklichen Ereignisse, an Flucht und Vertreibung wach zu halten. Gerade in diesen Tagen erlebe man ein Déjà-vu. Millionen Flüchtlinge seien in Europa unterwegs, vertrieben aus ihrer Heimat, um ein neues Zuhause zu finden.

Bürgermeister Markus Ackermann bezeichnete Grafenried als einen Ort der Vertreibung, des Unfriedens und der Trauer, aber auch als einen Ort der Versöhnung, der Freundschaft und des Miteinanders. Sein Dank galt all denen, die das Projekt Grafenried nie unter dem Aspekt der Verbitterung, sondern im Sinne eines europäischen Miteinanders sehen würden. Angesichts der Verfassung Europas mit den zahlreichen Flüchtlingen und den Terrorattacken, liege es an den Menschen, den Geist der Freundschaft und des Friedens zu erhalten.

 

Der Aster Kirchenchor umrahmte den Gottesdienst musikalisch. Text und Fotos: Bucher
Der Aster Kirchenchor umrahmte den Gottesdienst musikalisch. Text und Fotos: Bucher

Der Aster Kirchenchor, der den Gottesdienst musikalisch mit der Bläsergruppe umrahmte, sang zum Schluss das Grafenrieder Heimatlied. Zum intensiven Gedankenaustausch trafen sich die zahlreichen Gäste anschließend im Gasthaus Laubmeier in Steinlohe. 

     

EIN BLICK IN DIE GESCHICHTE GRAFENRIEDS

  • Im Jahr 1930 standen in Grafenried 41 Anwesen, in denen 247 Bewohner gelebt haben.
  • Davon waren 231 Personen deutscher, 14 tschechischer Nationalität, zwei Personen wurden als Ausländer geführt.
  • Im Jahr 1945 endete die lange und reiche Geschichte der Gemeinde.
  • Die Bewohner mussten ihre Heimat Hals über Kopf verlassen, sie wurden abgeschoben.
  • Bis auf wenige Gebäude, die der Grenzwache als Unterstand dienten, wurde der Ort zerstört.
  • 1959 wurde die Pfarrkirche St. Georg vom tschechischen Militär in die Luft gesprengt, obwohl sie den Status eines Denkmals hatte.
  • Übrig blieb nur ein Trümmerhaufen, den die Natur im Laufe der Jahre wieder in Besitz nahm.
  • Die Rettung für Grafenried war ein deutsch-tschechisches Projekt, mit dessen Hilfe nicht nur das Gotteshaus (ab 2012), sondern auch der einstige Pfarrhof sowie eine Brauerei, das Wirtshaus und eine Brauereivilla freigelegt wurden.
  • Maßgeblich beteiligt waren und sind an diesem Projekt Ortsbetreuer Hans Laubmeier, Zdenek Procháska und „Hobby-Archäologe“ Helmut Roith.
  • Letzterer hat in der Zwischenzeit schon wieder so manchen Keller entdeckt und freigelegt.

„Deutsche und Tschechen sind Freunde“

Am Friedhof in Grafenried gedachte man der Verstorbenen. Diakon Hans Peter Gänger (vorne) segnete die Gräber, Thomas Schrödl und Ortsbetreuer Hans Laubmeier (von links) erinnerten an die Bedeutung der Heimat.
Am Friedhof in Grafenried gedachte man der Verstorbenen. Diakon Hans Peter Gänger (vorne) segnete die Gräber, Thomas Schrödl und Ortsbetreuer Hans Laubmeier (von links) erinnerten an die Bedeutung der Heimat.

Für Hans Laubmeier und Friedrich Weiß ist es immer wieder ein ergreifender Moment, wenn sie sich, zusammen mit ihren Landsleuten, in Untergrafenried an der früheren Grenze zu Tschechien treffen. Doch im Vergleich zu vor 30 Jahren können sie diese Grenze überqueren und den Weg von Untergrafenried nach Grafenried gehen. Einen Weg, den sie als Kinder des Öfteren gegangen sind und der ihnen bis zur Grenzöffnung versperrt war.

 

Erinnerungen an die Heimat 

Treffender könnte es die Inschrift nicht sagen die lautet: “Wie sollen wir je vergessen, wo unsere Wiege stand. Was wir da einst besessen, war unser Heimatland.” Bereits am Samstagnachmittag hatte man schon mit den ehemaligen Pfarrangehörigen des Pfarrsprengels Grafenried, zu dem die Orte Anger, Seeg und Haselberg gehörten, ein Wiedersehen mit einem Gedenkgottesdienst in der teilweise wiederaufgebauten früheren Pfarrkirche St. Georg in Grafenried gefeiert.

Wie in jedem Jahr waren viele Ehemalige aus dem Bundesgebiet angereist, um wieder die alte Heimat zu besuchen. Selbst wenn von den Häusern und Gehöften nichts mehr zu sehen ist, allein schon der Gedanke “Hier bin ich geboren und aufgewachsen, hier habe ich meine Kindheit verbracht”, machte die schweren Herzen der Grafenrieder Pfarrangehörigen ein bisschen leichter.

Ortsbetreuer Hans Laubmeier hieß die Besucher am Gedenkstein, der an die ehemalige Heimat erinnert, willkommen. Nachdem Stefan Ruhland das Lied “Tief drin im Böhmerwald” mit seinem Akkordeon anstimmte, sangen alle mit.

 

Dank für Engagement 

Friedrich Weiß ließ es sich nicht nehmen, Laubmeier für sein Engagement und seinen Einsatz um die alte Heimat zu danken. Gemeinsam machte man sich auf den Seeger Kirchenweg Richtung Grafenried auf Weg. “Es wächst zusammen, was zusammen gehört”, so Diakon Hans Peter Gänger. Deutsche und Tschechen seien Freunde geworden. Gerade auf dem Friedhof erfahre man dies.

In der Vergangenheit habe sich Forstdirektor Jan Benda und jetzt Libor Schröpfer mit seinen Helfern bereiterklärt, diesen zu pflegen. Das sei ein Zeichen gelebter Versöhnung. Die Frage ob diese Treffen noch zeitgemäß seien, beantwortete Gänger mit einem klaren “ja”. Vor allem der Friedhofgang liege ihm besonders am Herzen, denn da erhielten die Toten die Segnung ihrer letzten Ruhestätte, auf den sie so lange verzichten mussten.

“Segne diesen Acker und diese Erde, in der die Verstorbenen ruhn”, betete der Diakon. Nachdem Laubmeiers Nachfolger Thomas Schrödl die Namen der in der jüngsten Zeit verstorbenen Ehemaligen verlas, segnete Gänger die Gräber.

Text und Foto: Bucher