Der verschollene Kreuzweg

Der von Felix Müller gefertigte Kreuzweg ist nicht mehr auffindbar.
Der von Felix Müller gefertigte Kreuzweg ist nicht mehr auffindbar.

Von außen wirkt die Kirche St. Wendelin in Spielberg eher unscheinbar. Dabei beherbergte sie einst ein künstlerisch ungemein wertvolles Objekt: einen expressionistischen Kreuzweg, der bald nach seiner Errichtung zum Zankapfel zwischen Pfarrei und nationalsozialistischen Machthabern wurde.

Ebenfalls verschollen: die Altar-Ersteinrichtung, hier der betende Abt.
Ebenfalls verschollen: die Altar-Ersteinrichtung, hier der betende Abt.

 

Gefertigt hatte ihn Anfang der 1930er Jahre der Bildhauer Felix Müller (1904 bis 1997) aus Laubendorf bei Nürnberg. Der Kreuzweg war aus Kiefernholz geschnitzt und getönt. Die großflächigen Figuren mit ihrem auf Ausdruck und nicht auf Realität gerichteten Habitus entsprachen jedoch nicht dem Kunstsinn der damaligen Zeit. Trotzdem waren die Spielberger dereinst stolz auf ihren einzigartigen Kreuzweg, bedenkt man, dass der expressionistische Stil um 1930 die allerneueste Kunstrichtung war. Heutzutage sind expressionistische Darstellungen in beinahe jeder modernen Kirche zu finden.

So sah das linke Altarbild aus.
So sah das linke Altarbild aus.

Mitte der 1930er Jahre sorgte Müllers Werk allerdings für großes Aufsehen. Für den Künstler selbst war es ein „Bomben-Auftrag“. Das geht aus seinem Briefwechsel mit Otto Gall hervor. Er sei mit Begeisterung an die „hohe Aufgabe“ herangegangen, schrieb Müller. Jede Tafel sei das Spiegelbild seiner Selbst, gestand er.

Als Material habe er schlichtes Föhrenholz verwendet, „aber es ist wundervoll in seiner Struktur und Maserung“. Die Farbe habe er nicht dick „draufgeschmiert“, sondern ganz leicht „drüberlasiert“, damit das Holz seine Schönheit nicht verliere: „Der Rock Christi ist jeweils violett, die Dornenkrone giftgrün, das Kreuz stumpfrot“, erklärte Müller. Seiner Meinung nach habe er ganz und gar erreicht, „was ich wollte, den Besucher zu packen. Er soll stehen bleiben vor einem Werk, es muss den Betrachter herausfordern, auch wenn er dagegen ist“. An seinen Reliefs sei kein Funke starrer Akademismus, und doch sehe man, dass das Holz geschnitzt ist.

Trotz aller Euphorie des Künstlers fiel das Honorar eher mau aus: 35 Mark pro Tafel. „Also der moralische Sieg mal wieder größer wie der materielle“, kommentierte Müller sein Entgelt und beschrieb seine Freude über den Auftrag, auch noch einen Altar fertigen zu dürfen, über dessen Verbleib nichts bekannt ist.

 

Doch die Euphorie währte nicht lange: Nicht nur der Künstler, auch der damalige Aster Pfarrer Karl Hilburger – der glühendste Verteidiger und Fürsprecher des neuartigen modernen Kreuzwegs – sahen sich vermehrt heftigen Anfeindungen vonseiten der Nationalsozialisten ausgesetzt. Die Nazi-Propagandazeitung „Der Völkische Beobachter“ betitelte in seiner Ausgabe vom 9. März 1936 den Geistlichen als „Kulturbolschewisten“ und „Kirchenschänder“. Der unbekannte Autor schrieb: „(…), dass der Spielberger Pfarrer noch im Jahre 1936 Darstellungen aufhängt, deren expressionistische Fratzen einen Apostel des Kulturbolschewismus zu begeisterten Hymnen hingerissen hätten.“ Die Figuren seien verzerrte Gestalten. „Darum müssen diese grellfarbigen Holzreliefs in ihrer epileptischen Ekstase wie ein Keulenschlag auf die überkommene Vorstellungswelt der einfachen Waldbauern wirken.“ Schließlich schaltete sich das Bischöfliche Ordinariat ein und verlangte, dass der „Anstoß erregende Kreuzweg entfernt oder sonst wie aufbewahrt“ werden müsse. „Eigentlich wäre der Pfarrer, der diesen Kreuzweg angeschafft hat, verantwortlich“, hieß es in einer Mitteilung an das Pfarramt Ast.

Der expressionistische Stil wurde als „entartete Kunst“ bezeichnet.
Der expressionistische Stil wurde als „entartete Kunst“ bezeichnet.

Schließlich gab Pfarrer Hilburger dem Drängen nach: Die „entartete Kunst“ wurde aus der Kirche entfernt und durch einen „wirklichkeitsnäheren“ Kreuzweg ersetzt. Was aus den 14 Stationen geworden ist, weiß heute niemand mehr. In einer Biografie, die Birgit Rauschert über den Künstler Felix Müller verfasst hat, heißt es: „Unglücklich ist das Schicksal dieser Holzreliefs: Zunächst werden die Tafeln (…) verfemt, doch erst nach Kriegsende zerstört sie ein Vikar aus unbekannten Gründen, indem er sie mit einem Beil zerhackt.“ Andere behaupteten, der Kreuzweg sei irgendwo eingelagert worden, erinnert sich Ruhestandspfarrer Raimund Arnold. Der Priester hatte sich vor fast 50 Jahren selbst auf Spurensuche begeben. Bislang ohne Erfolg.

 

Noch heute steht Arnold in Kontakt mit dem Felix Müller-Museum in Neunkirchen am Brand, in dem lediglich eine Replik der 13. Kreuzwegstation aus den 1950er Jahren hängt. Der original Kreuzweg aber ist verschollen.

Text und Fotos: Bucher

 

Auszug aus dem Waldmünchner Grenzboten

 

Der Waldmünchner Grenzbote schrieb zum Thema im August 1936: „Nun ist der neue farbenprächtige Altar der Schulkapelle Spielberg aufgestellt; wahrlich ein Prachtstück der Holzschneidekunst. Im Triptychon ist dargestellt der königliche Knabe, wie er Jesus und Maria seine Goldkrone opfert; dann der in demutsvoller Andacht vor selbstgebundenem Kreuze kniende Hirte und als Mittelstück der greise Abt, wie er zum schön geschnitzten, vom mächtigen Geranke umgebenen Kruzifix über dem Altare zeigend den Bauersleuten predigt. Mit dem eigenartigen, tief ergreifenden Kreuzweg ist vom Künstler Felix Müller, Laubendorf-Nürnberg ein Ganzes geschaffen worden, das jeden betenden Besucher und Beschauer der St. Wendelinkapelle mit den ernstesten Gedanken erfüllt.“